Chi Sau-Training
Basierend auf den Techniken der verschiedenen Formen des Wing Tsun Kung Fu-Systems spielt das sogenannte Chi-Sau-Training (übersetzt „haftende Hände“) eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Verteidigungs- und Angriffsfähigkeiten. Chi Sau ist eine einzigartige Trainingsmethode, bei der taktile Reaktionen auf Berührungen geschult werden, um blitzschnell auf Angriffe zu reagieren und gezielte Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Übungen konzentrieren sich dabei vor allem auf die Arme, deren Bewegungen durch direkten Körperkontakt intuitiv gesteuert und angepasst werden.
Im Chi Sau-Training lernen die Schüler, durch die ständige Verbindung der Arme mit ihrem Trainingspartner, Druck, Bewegungsrichtung und Impulse zu erspüren. Dadurch entwickeln sie ein hochsensibles taktiles Gespür, das es ermöglicht, Bewegungen des Gegners zu antizipieren und im Bruchteil einer Sekunde darauf zu reagieren. Dies schafft nicht nur eine solide Grundlage für effektive Selbstverteidigung, sondern verbessert auch die Reaktionszeit und die Fähigkeit, flexibel auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren.
Die Anwendung von Chi Sau in der Selbstverteidigung ist äußerst effektiv: Indem die „haftenden Hände“ stets den Kontakt zum Gegner halten, wird die Kontrolle über seine Bewegungen aufrechterhalten. So lassen sich Angriffe wie Schläge oder Griffe nicht nur abwehren, sondern auch in dynamische Gegenangriffe umwandeln. Dabei bleiben Wing-Tsun-Prinzipien wie ökonomische Bewegung, maximale Effizienz und gezielte Energieübertragung stets im Fokus.
Chi Sau gehört zu den fortgeschrittenen Elementen des Wing Tsun-Unterrichtsprogramms und hebt sich durch seine Komplexität und Vielseitigkeit deutlich von anderen Kampfkünsten und Kampfsportarten ab. Es bietet Schülern nicht nur die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu perfektionieren, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Prinzipien von Verteidigung und Angriff zu entwickeln – immer mit dem Ziel, in jeder Situation souverän und sicher zu handeln.
Bevor Chi Sau mit beiden Armen gleichzeitig praktiziert wird, beginnt der Schüler zunächst jeweils nur mit einem Arm, verschiedene taktile Reaktionen zu trainieren – die sogenannten Daan
Chi-Übungen (übersetzt: „einzeln anhaften“).
Hierbei handelt es sich um festgelegte Bewegungsmuster, -zyklen, in denen Reflexe auf „Basis-Techniken“, wie sie in der Siu Nim Tau-Form vorkommen, trainiert werden.
Nachdem die Daan Chi-Übungen abgeschlossen wurden, beginnt das Poon Sau-Training. Hierbei gilt es, mit beiden Armen den eigenen Körper bestmöglich zu schützen, während man mit den Armen des
Gegners Kontakt hat (klebt) und gleichzeitig kreisförmig mit den Armen vor dem Körper rotiert.
Dem Poon Sau-Training sollte unbedingt eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn es ist die Ausgangsbewegung für alle folgenden Chi Sau-Sektionen des Wing Tsun Kung Fu-Systems. Poon
Sau- bzw. Chi Sau-Training ergibt nur Sinn, wenn beide Trainingspartner auch wirklich dessen Hintergrund verstanden haben.
Chi Sau-Reaktionen kommen erst dann zum Einsatz, nachdem der Verteidiger die „Nahkampf-Distanz“ zu seinem Gegner erreicht hat. Wird hier sein Gegenangriff durch eventuelle Abwehrtechniken wie z.
B. Blocks, Griffe, etc … von dem Gegner unterbrochen, ermöglichen es ihm die antrainierten taktilen Chi Sau-Reaktionen, die störenden Abwehrtechniken des Gegners sofort „beiseite“ zu
nehmen/umzuleiten (d.h.sogar zum seinem Vorteil zu nutzen), um so seinen Gegenangriff weiterhin schnellst möglich ins „Ziel“ bringen zu können.
Vorteil der Chi Sau-Reflexe: Es wird kein übermäßiger Krafteinsatz durch z. B „Gegenblocken“ benötigt und vor allem entsteht in der Nahkampf-Distanz kein Zeitverlust durch visuelle Reaktion über
> Auge > Gehirn > Gegenreaktion.
Chi Sau ist eine Partnerübung, die dazu dient, taktile Reflexe miteinander zu schulen und einzuschleifen. Diese Reflexe kommen im richtigen Kampf oder in der Anwendung im Gwo Sau-Training
(Freikampf-Training) zum Einsatz.
Man könnte auch sagen Gwo Sau ist das Endresultat aus der Einheit der verschiedenen Formen, dem Chi Sau-Training, der ergänzenden Unterrichtsprogramme (Reflex- und Kombinationsschulung) und der
Kenntnis über die Umsetzung mittels einer intelligenten Methode!
Das Chi Geuk-Training ist im Grunde das Pendant zum Chi Sau-Training im Wing Tsun Kung Fu-System. Werden im Chi Sau-Training taktile Reaktionen der Arme trainiert, so werden im Chi-Geuk-Training
taktile Reaktionen der Beine trainiert.
Dies ermöglicht es dem Wing Tsun-Praktizierenden zum einen, bei Kontaktaufnahme mit dem Gegner z. B. umgehend einen Beinhebel, einen Fußfeger oder einen „Nahkampf-Tritt“ anzubringen, zum anderen
aber auch, bei einer adäquaten Aktion des Gegners, durch die Schulung der taktilen Reflexe, unverzüglich mit einer entsprechenden Gegenreaktion zu kontern. Das Chi Geuk-Training beinhaltet sowohl
Fußfeger und Fußtritte, Knie- und Beinhebel als auch Kniestöße.